4.2.3.1. Tri Castelli, Bellinzona (Befestigungsanlage)
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Castelgrande (Schloss Uri) :
Die Tre Castelli von Bellinzona sind im ganzen Alpengebiet das einzige noch vorhandene Beispiel mittelalterlicher Militärarchitektur und gehören zu den bedeutendsten Zeugen der Befestigungsbaukunst in der Schweiz. Das UNESCO-Welterbekomitee hat die Tre Castelli an der 24. Jahrestagung vom Dezember 2000 in Cairns (Australien) in die Welterbe-Liste eingetragen.

"Dieser Platz ist der Schlüssel und das Tor zu Italien" - mit diesen Worten kennzeichnete Azzo Visconti 1475 in einem Schreiben an den Herzog von Mailand, die strategische Rolle Bellinzonas.
In der Talenge von Bellinzona laufen soviele Passrouten zusammen, wie bei kaum einem anderen südlichen Alpenausgang. Neben den für den Verkehr erschlossenen Übergängen des Nufenen, Gotthard, Lukmanier und San Bernardino wurden in früheren Epochen des Reit-, Saum- und Fussverkehrs auch Pfade über die Greina sowie die West-Ost-Route (Domodossola - Centovalli - San Jorio - Veltlin) rege begangen. All diese Routen bündelten sich bei Bellinzona auf einer Länge von wenigen Kilometern zu einem einzigen Strang, der sich weiter südlich wieder in verschiedene Achsen zu Wasser und zu Lande in die lombardische Ebene hinein verzweigte.
castelgrandegemälde
Die drei Burgen von Bellinzona im Mittelalter
castelgrandehistorisch
Fotoaufnahme von 1946
Die topografischen Voraussetzungen mit dem von der östlichen Bergflanke her, weit ins Tal vorgeschobenen Felsrücken des Castelgrande luden zur Errichtung der Befestigungsanlagen geradezu ein. Dieser natürliche Riegel liess nur gerade zwei Durchgänge offen; einen östlichen, wo im Mittelalter die Stadtsiedlung entstand, und einen westlichen, durch den früher die unberechenbaren Fluten des Ticino zum Lago Maggiore drängten. Einen günstigeren Platz zum Anlegen einer Talsperre kann man sich kaum vorstellen.
Die versumpfte Magadino-Ebene - Überschwemmungszone des Ticino - blieb bis weit in die Neuzeit hinein siedlungsfeindlich. Bis ins 15. Jh. erstreckte sich ein Arm des Lago Maggiore bis hinauf nach Bellinzona, was sogar das Betreiben eines Schiffshafens ermöglichte!
Der Hügel des Castello Grande dürfte schon um 1000 v.Chr. besiedelt gewesen sein. In der römischen Kaiserzeit wurde unter Kaiser Augustus der Alpenraum in mehreren Feldzügen dem Imperium Romanum angegliedert, das rätische Gebiet wurde im Jahr 15 v. Chr. unterworfen. Als Basis für diese Vorstösse wurde auf dem Felsrücken des Castelgrande ein Kastell angelegt. Um Mitte des 4. Jahrhunderts entstand eine weitläufige Wehranlage, welche im Bedarfsfall eine ganze Kohorte (1'000 Mann) aufnehmen konnte.
Die Byzantiner haben das Kastell im 6.Jh. übernommen und vermutlich ausgebaut. 590 war das Kastell im Besitz der Langobarden. 590 drangen die Franken in die langobardische Ebene ein, die Besatzung des Kastell`s konnte dies nicht verhindern, jedoch schafften sie es die Burg zu halten.
In den, Ende des 9.Jh. geführten Kämpfen, um die Integration Italiens ins römisch-deutsche Imperium, spielte die Feste ein wichtige Rolle als Stützpunkt und wurde verstärkt und ausgebaut. Die Ausbautätikeiten des 9.Jh. dürften nicht alleine auf die Wirren des Italienkrieges zurückzu führen sein. Zu dieser Zeit drangen auch die Sarazenen über die rätischen Pässe nach Bellinzona vor und die Bewohner wollten sich vor diesen räuberischen Horden schützen.
In den Auseinandersetzungen des 10.Jh. zwischen den Anhängern des Kaisers und den langobardischen Anhänger, wechselte die Burg mehrere Male die Besitzer. Nach dem Tod Kaiser Ottos III gelangte die Burg 1002 durch eine Schenkung in die Hände des Bischofs von Como. Die bereits seit Jahrzehnten dauernden Auseinander- setzungen zwischen Mailand und Kaiser Barbarossa, zogen Bellinzona und Locarno immer wieder in den Mittelpunkte von Angriffen der Mailänder. Der Angriff von Mailand gegen das Sopraceneri (1156) wurde vor Bellinzona und Locarno gestoppt. Im 12.Jh. wurde Bellinzona der Kaisertreuen Kommune der Stadt Como unterstellt. Die Burg wurde ausgebaut und erhielt repräsentative Bauten. 1239 trat Como, wegen des uralten Zwist mit der Stadt Mailand, in die Dienste Kaiser Friedrichs II über. Bellinzona rückte somit in den Brennpunkt mehrerer Kriege.
1242 gelang es Simon von Orello und Heinrich von Sax, nach schwerer Belagerung, das Kastell zu erobern. Somit endete die Machtstellung der Staufer im Süden. Das Ende der Auseinandersetzungen zwischen den Staufern und Mailand brachte hingegen keine Beruhigung der Gegend mit sich. Die Kämpfe zwischen den Ghibellinen und Guelfen dauerten bis ins 14.Jh.
Unter der Herrschaft der Visconti gab es keine grossen Unruhen mehr im Sopraceneri. Unter  Filippo Maria Visconti wurde die Ringmauer verstärkt und mit Türmen, Ziehbrücken und andern Verteidigungs- anlagen vervollständigt. Als jedoch 1402 Herzog Gian Galeazzo starb, brachen wilde Kämpfe um dessen Erbe aus. Die Schwäche Mailands nutzten auch die Eidgenossen aus. Albert von Sax eroberte Bellinzona und vergrösserte seinen Machtbereich gegen den Süden. 1419 kauften die Urner (nachdem sie die Herren von Sax zum Verkauf nötigten) die Stadt und die Festung. Die inzwischen wieder erstarkten Mailänder wollten die Festung von den Eidgenossen zurückkaufen. Als diese nicht darauf eingehen wollten, wurde die Festung in einem kühnen Handstreich (1422) durch den Mailänder Feldherr Carmagnola besetzt. Die Rückeroberung durch die Eidgenossen endete in der Schlacht bei Arbedo in einer Katastrophe (Verlust aller eidgenössischen Besitzungen diesseits der Alpen). Trotz mehrerer Kriegszüge gegen Bellinzona blieb dieses in mailändischer Hand. Auch nach dem grossartigen Sieg der Eidgenossen, in der Schlacht bei Giornico 1478, blieb die Festung im Besitz von Mailand.

torre nero

Blick auf den "Torre Nero"








ringmauer

Blick auf die Talsperre, gegen den Ticino hin.
castelgrandeansicht
Castel Grande (Schloss Uri)
Aufnahme von Picswiss
1499 besetzten französische Truppen Bellinzona, das sich nach heftigem Widerstand ergeben musste. Doch bereits 1500 mussten die Franzosen wieder abziehen. Die französische Besatzung wurde nach mehrwöchigen Kämpfen vertrieben. Doch kurze Zeit später verlor Ludovico Sforza seine Macht wieder und die Franzosen besetzten die Lombardei erneut. Dies nutzten die Eidgenossen (Uri, Schwyz und Unterwalden), um Bellinzona unter Ihre Schirmherrschaft zu nehmen. Die Franzosen verzichteten erst 1503 zugunsten der Eidgenossen auf die Grafschaft Bellinzona und das Bleniotal. Die ewigen Auseinandersetzungen um die Stadt und die Festung hatte somit ihr Ende gefunden.
Ende des 13. Jahrhunderts entstand auf dem Felssporn östlich von Bellinzona das Castello di Montebello. Um 1350 wurde das Castello di Montebello vergrössert und mit Schenkelmauern an die Stadtbefestigung Bellinzonas angeschlossen. Um kurz nach 1400 entstand auf einem erhöhten Felskopf der östlichen Bergflanke ein Turm, der Kern des späteren Castello di Sasso Corbaro. In der zweiten Hälfte des 15. Jh. wurden Castelgrande und Montebello mit weiteren Befestigungsanlagen verstärkt und auf dem Castel Sasso Corbaro entstand ebenfalls ein Kastell. Der imposante Anblick der heutigen Befestigungen in Bellinzona geht im wesentlichen auf die Bautätigkeit der Herzöge von Mailand zurück.
montebello
Castello di Montebello
Aufnahme von Picswiss
grundriss castelgrande
Grundriss des Castel Grande in seiner heutigen Form
Der heute enstehende Eindruck einer weiten Leere im Inneren der Feste täuscht - und ist vorallem auf Abbrucharbeiten der Zeughausbauten im 19. Jh zurückzuführen. Schriftstücke aus dem 11. bis 15. Jh., sowie archäologisch nachgewiesene Fundamentreste belegen, dass das Castelgrande im Hochmittelalter - aufgeteilt in einzelne Parzellen - viel dichter überbaut gewesen sein muss.





Mit der Gründung des Kantons Tessin im Jahre 1803 gingen die drei Burgen in den Besitz des Kantons über. Montebello und Sasso Corbaro verfielen und boten sich um 1900 als Bauruinen dar. Castelgrande diente seit 1813 als Zeughaus und ab etwa 1820 als kantonales Gefängnis. Die umfassendsten Sicherungs- und Wiederherstellungs- arbeiten fanden zwischen 1920 und 1955 statt, ab 1980 war der Tessiner Architekt Aurelio Galfetti mit der Restaurierung und Sanierung der alten Gemäuer beauftragt. Diese Sanierungsmassnahmen dauerten ca. 10 Jahre und riefen zum Teil erhebliche Kritik hervor.
Der Architekt ging nämlich teilweise ziemlich kompromisslos vor. Er liess auf Castelgrande neue Bruchsteinmauern errichten, die Fassaden weiss streichen und gleich hohe Fenster einsetzen. Sodann entkernte er die beiden Festungstürme und beseitigte Erdschichten auf dem Gneisgestein vor den Mauern. Beim Restaurieren eines historischen Gebäudes - wie eben einer Burg, scheiden sich oft die Geister. Vieles ist nurmehr vage vorhanden; soll man dies lediglich sichern, oder - vielleicht falsch - wiederaufzubauen versuchen? Darf man - oder muss man sogar, wo notwendig, moderne Architektur mit der historischen verbinden? Diese Disskusion wird wohl noch oft die Gemüter erhitzen.








Bild auf der rechten Seite: Castello di Montebello
Aufnahme von Vincent Ferravanti
montebello
aussicht castelgrande
Heute kann das Castelgrande am einfachsten mit einem Fahrstuhl erreicht werden, der vom Fuss des Burgfelsens  - von der Piazza del Sole - direkt ins Innere der Burg führt. Im Spätmittelalter erfolgte der Zugang von der Südseite her, wo zunächst auf halber Höhe des Hügels ein Tor in der Stadtmauer zu durchqueren war. Durch steile, malerische Gässchen kann man auch heute noch von der Altstadt aus, zu diesem Tor hochsteigen.









Bild links: Aussicht vom Torre Nero, die Magadino-Ebene hinab.
Foto von Bigfoto.com
Im übrigen hat der historische Kern von Bellinzona auch sonst einiges zu bieten; wie z.B. das Rathaus das 1924 originalgetreu rekonstuiert wurde. Einige der schönsten Kaufmannshäuser aus der Zeit des Rinascimento erheben sich auf der Piazza Collegiata. Von dort bis zur Piazza Indipendenza erstreckt sich samstags ein belebter und beliebter Markt. Die kleine Kirche Santa Maria delle Grazie auf der südlichen Seite des Stadtkerns dürfte dann vor allem Liebhaber der Renaissance begeistern. Ein unbekannter Meister hat um das Jahr 1500, auf der "Lettnerwand" sechzehn Szenen aus dem Leben und der Passion Christi geschaffen. Aus der gleichen Zeit stammen auch die Fresken im Langhaus und im Chor.
burgen bei nacht
Castello di Sassa Corbaro, Castello di Montebello und Castel Grande bei Nacht
Foto von der Homepage von
Tessin Tourisme

© Seitenlayout  by Reinhard Dietschi, im Januar 2005
Die Texte stammen aus verschiedenen Quellen. Zum einen von der grossartigen Burgenseite von Daniel Grütter. Zum anderen von der Homepage des Unesco Weltkulturerbe, der Homepage von Tessin Tourismus dem Buch Burgen der italienischen Schweiz. Zwei der Bilder stammen von Picswiss. Vielen Dank den fleissigen Autoren und Forschern, die all diese Informationen zusammengetragen haben!
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